Sonntag, 3. Februar 2008

Dr. Kong hört...Trend: Navigator

Dr. Kong hört:
Trend-Navigator (Plastic Bomb/Cargo)

Mein behandelnder Arzt, die alte Rocksau aus Leipzig (für mich ist er der Rock-Doc-erzähl' ihm was von Jimmy Page und er gerät ins Schwärmen und vergisst die Medizin) hat seine Drohnung wahrgemacht und hat mir eine CD mitgebracht. Kein Wunder, dass ich das nicht im Netz gefunden habe, die Band heißt nicht 'Newigejschn', sondern Trend, und das Album 'Navigator'. Ich rechnete nicht mit dem schlimmsten, immerhin meinte der Rock-Doc, das wäre Punkrock. Die Verpackung ist angenehm monochrom, auf zwei Titeln spielt Harald 'Sack' Ziegler Waldhorn und gemastert hat Stefan Betke (Pole), das sind ja schon Mal ganz gute Aussichten. Statt einer Thank-you-Liste findet man nur den Spruch: 'Alle Rechte bei Trend, alle Linke auf die Straße' und das finde ich gleichsam witzig und toll, sodass ich schon die erste Ein-Mann-im-Rollstuhl-Demo vor der Kurklinik Bad Endorf plane.
Als erstes starte ich das vom Rock-Doc empfohlene elfte Stück 'fünf Uhr morgens' und das macht die Schleusen unprätentiös weit auf mit einem furztrockenen, kräftigen Sound: Bass, Drums, die die klassische Threepiece-Situation komplettierende Gitarre orientiert sich ästhetisch dankenswerter Weise an eher höhenlastigem Postpunkgeschmirgel und die Stimme (erinnert mich ein bißchen an Schneller Autos Organisation) fleht und schreit ohne Hysterie. Eine Bestandsaufnahme: Verlassenwerden, die Stunden nach dem Nachtleben, böse Nachrichten in der Zeitung. Reduziert, energetisch, kompromissloser Sound. Das hat mich zumindest soweit überzeugt, das ich das Ding von vorne an höre.
Begrüßt wird man mit 'Bereit', das geht als intravenöse Nahrungsergänzung zum schwarzen Kaffee morgens ziemlich gut ab, sagt Sachen wie 'Ich bin bereit für ein Selbstmordattentat', aber bevor man dadrüber ins Grübeln kommt, springt 'Standortvorteil' in die Bresche und haut dem Publikum von Die Auswanderer XXL ordentlich eins auf die Mütze. Bei 'Gott hat keine Flugzeuge mehr' wird etwas bildhafter gewettert. Der Rock-Doc findet die anderen Stücke wohl nicht so toll, ich glaub ich schon. Weiter: '1970' lass' ich mir einfach mal aus der Seele sprechen: Eine Kampfansage an langweilende Musiken, denen in 1:32 der Garaus gemacht wird. Und der Titel prostet einfach mal den Stooges zu, sach ich mal. Top! Und das inklusiver toller Melodie! 'Mann in Uniform' kommt in Form eines simplen Postpunk-Disco-Geholpers, das sich mit postmodernen Brechungen weit aus dem Fenster lehnt ('in diesem Titel kein Wort von Disco', 'deine Probleme möcht ich haben, Ally McBeal') und von Synths und Darbuka-Geklöppel komplettiert wird. Begeisterung macht sich breit, auch weil ich nur für den Bruchteil einer Sekunde an Unsäglichkeiten wie die Mediengruppe Telekommander denken muss (aber auch denen würde ich bei entsprechender Bemusterung eine faire Chance geben-immerhin war ich ja mal Vorband von denen). Nach Quarkstrudel und 'Like A Rolling Stone' geht’s mit Stück Nummer sechs weiter, und das zieht etwas unbeteiligt an mir vorbei. Der Name Doris Schröder-Köpf fällt, der Groove ist schon ganz cool, aber ich werde nicht schlau draus und das Synth-Solo nervt mit austauschbaren Pulswellensounds. Hm. Bei 'Rue Love' kapiere ich weder Text noch Musikkonzept, da weiß ich dann auch mit dem Herrn Sack nichts anzufangen, obwohl das Waldhorn natürlich schon geil klingt, wa. Ich hoffe auf ein gerechtes Brett als nächstes und 'Pop Anamur' zieht mich auf seine Seite. Im Gitarrenmahlstrom nimmt man die ertrinkende Stimme kaum wahr, die restlichen Instrumente kämpfen tapfer. Sehr extreme Mischung, da bin ich immer gern dabei, textlich soll wohl ein Bleizeppelin aufsteigen. 'Mehr Rockelemente': Die Begeisterung war berechtigt, und dieser Song wird ab sofort zur Hymne in Kongland erklärt, nieder mit der Atomic-Café-the-bands-pseudo-Konfrontationsmusik, weshalb der Text hier in toto zum Auswendiglernen abgedruckt wird:
wer hat hier was zu sagen und wer bleibt abends lange auf?/hier tanzt der papst im kettenhemd, wir geben uns total enthemmt/wer hat hier was zu sagen und wer bleibt abends lange auf?/kommt mir einfach nicht zu nah, sonst gibt’s gleich noch was drauf/es ist soweit, es ist soweit/ich sag' euch an was kommt/die zeit des wartens ist zu ende-mehr rockelemente/dreht einfach auf, dreht einfach ab/schlagt die köpfe an die wände-mehr rockelemente/born to be gina wild, not a true nature one's child/die welt kann uns im arsche lecken, wenn wir unsere finger strecken/brutaler protest,brutaler protest. '
Den goldenen Textorden am Band für den Satz mit Gina Wild bitte. 'Was soll's': Musik und Verzweiflung, Politik und Schülerbands, Blut. Und eine tödlich gute Maschine aus Gitarre, Bass, Drums, Stimme stampft voran. Dann kommt wieder Nummer elf und die ist beim zweiten Mal noch besser, auch in der Gesamtdramaturgie. 'Hypnotisch' fällt mir dabei ein.
Lymphdrainage, Physiotherapie, Hühner-Nudeltopf. Die letzten zwei Stücke. 'Stopf alles rein' ist eine Zwei-Minuten-Antikapitalismus-Faust mit extremem Mixing, am Anfang fragt man sich, ob mit den Kopfhörern noch alles stimmt, weil die Stimme so leise unter den seltsamen Gitarrenverwachsungen Blüten treibt, letztendlich gewöhnt man sich auch daran und findet's super. Die letzte Nummer ist eine prima letzte Nummer. Fasst die Themenläden gut zusammen, featured ein verzerrtes Waldhorn von Harald 'Sack' Ziegler und haut hymnische Slogans raus ('Unsere Mission ist noch lange nicht erfüllt/die kostet noch ein paar Mark von eurem Steuergeld', 'ich schimpfe auf die jugend, und ich weiß, das steht mir zu'). Groß.

Fazit: Ein hypnotischer Hit, eine Anti-Hype-Hymne, noch eine Hymne, extremer Sound in Hifi, Politik, Krach, ein paar Fragen, verzerrtes Waldhorn. Definitiv empfehlenswert.

Eins zu null für Rock-Doc.

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