Donnerstag, 28. Februar 2008

Gefährlicher Selbstversuch II: Quatsch Comedy Club


'Live aus der Humorzentrale der Hauptstadt...Quatsch Comedy Club!' schallt es aus dem Fernsehlautsprecher, und du weißt, es ist Zeit, unterzutauchen, denn das Propagandaministerium des superdeutschen Headsetklamauks geht auf Sendung, und die machen keine Gefangenen.

Allein der Name schon. Und wie ich diesen Thomas Hermanns hasse. Die Tunte der Nation kommt tatsächlich immer noch mit den plattesten 'und das ist auch gut so'-Pointen durch. Mario Barth in schwul. Ich warte noch auf das Buch: Deutsch-Schwul, Schwul-Deutsch.

Die Einleitung mag es schon angedeutet haben: Mir macht das Angst. Dieses Lachen macht zwar keine Stukas im Bauch, aber mindestens eine ganze Division von A-Klasse Benzs. Der Moderator kehrt auf die Bühne zurück und öffnet mit seinem Grinsen telekinetisch die Handschuhfächer der Autos, die Bildzeitung fällt auf den Beifahrersitz. Werbung.

Dass da aber auch immer die gleichen Hackfressen vorbeikommen. Gott sei Dank ist das schnell vorbei. Eine halbe Stunde später entkrampft sich mein ästhetisches Empfinden, das sich bei all der häßlichen Glitzer-Deko in die Hirnrinde verkrochen hatte. Aber dieses Grinsegesicht vergisst du nie.

Samstag, 9. Februar 2008

Gefährlicher Selbstversuch: Wieviel Mario Barth erträgt ein Affenhirn auf Eis?


Er ist hässlich, die Klamotte könnte aus dem C&A stammen, aber sein Publikum geht vor ihm auf die Knie und macht den Moslem. Wäre das hier Spiegel-TV, käme jetzt folgender Satz: Das Phänomen Mario Barth: Ist Deutschland auf dem Weg zurück ins Neanderthal oder emanzipiert sich das Intelligenz-Präkariat?

Wollte eigentlich im hochgefährlichen Selbstversuch testen, wieviel Minuten Mario Barth mein Gehirn überleben kann, habe die erste halbe Stunde jetzt aber erstmal mit einem sehr lustigen Telefonat über Turbonegro verplempert. Aber jetzt wird’s ernst: Meine ungeteilte Aufmerksamkeit gilt Mario.

Erster Tiefpunkt: Heinz Hönig sitzt im Publikum.


Feststellung: Er berlinert. Das verschafft ihm einen unfreiwilligen Bonus, so leid es mir tut.

Ich habe Angst, dass mein Gehirn nach 15 Minuten im Selbstkompostierungsmodus landet und ich anfange zu lachen.

So weit wird es nicht kommen. Den Weg durch diese Pointenwüste trete ich nicht auf einem kaputten Esel an. Auch nicht im Sportpalast. Haben die vielleicht die Lüftung abgedreht, um Hypoxie zu evozieren? Endlich Werbung.

Schabkeinbockmea. Das ist kein Phänomen, das ist einfach nur Scheiße. Jedes weitere Wort wäre zuviel.


Im Bett liegend bekomme ich die letzten Minuten von 'Wir waren wie Brüder' mit, Deutschland direkt nach Hitlers Kapitulation, man sieht ein befreites KZ.
Nicht alles, was aus Amerika kommt, muss schlecht sein (den Wert der Serie kann ich noch nicht beurteilen). Da fällt mir Harald Schmidt ein, der in der letzten Sendung von 'Schmidt und Pocher' Bush-Kritikern, die behaupten würden, man könne kein Land zur Demokratie zwingen, entgegnete, in Deutschland hätte das ja sehr gut geklappt. Man kann dem Herrn vorwerfen, was man will, aber manchmal ist er unbezahlbar. (Falls der Eindruck entsteht, ich wäre d'accord mit Herrn Bushs 'Politik'-Verständnis, bitte ich dies zu entschuldigen, es entspricht in keinster Weise der Realität.)
Für einen kurzen Moment denke ich über Zeitreisen und die Möglichkeit, Bilder von befreiten KZs auf Mario Barths Bühne zu projizieren, muss dann aber wieder an Spiegel-TV denken und beerdige den Gedanken schnell wieder.

Freitag, 8. Februar 2008

Dr. Kong schreibt Tagebuch

Achtung! Im folgenden Text befinden sich mehrere Kalauer.

Auch im Reha-Exil gibt es Veränderung. Dass ich mit Philipp ein Zimmer teilen muss, konnte ich verhindern, dass ich am Montag umziehen muss nicht. Ich bin zu fit für ein Bad, in das ein Rollstuhl passt.

Im ARD-Mittagsmagazin laufen Handy-Qualität-Videos aus Afghanistan. Die Ursache des Brandunglücks ist noch immer nicht auszumachen. Während Herr Erdogan auf Staatsbesuch in Deutschland weilt wird in der Türkei über die Aufhebung des Kopftuchverbots an Universitäten gestritten, was verständlicherweise die Kemalisten auf die Straßen ruft. Nachdem die Karnevalisten jetzt endlich von den Straßen verschwunden sind.

TV On The Radio bei Kerner wird es wohl in naher Zukunft nicht geben, da gabs stattdessen recht imposante Bilder aus einem neuen Dokumentar-Blockbuster namens 'Unsere Welt', dessen Regisseure sich nichts geringeres auf die Fahnen geschrieben haben als die Mission, die Schönheit eben dieser zu zeigen. Es scheint ihnen gelungen zu sein. Trotz Eisbären-Footage.

Vor ein paar Tagen lief spätabends 'Rock'n'Roll Circus' im bayerischen Fernsehen. Da Brian Jones noch zu sehen ist, ordne ich die Entstehung dieser bizarren Show, für die die Rolling Stones die heißesten Acts der Stunde mit allerlei Artisten in einem Zirkus auftreten ließen, auf 1968. Höhepunkt für mich waren das 'Interview', das Mick Jagger mit John Lennon führt, dessen Performance von 'I'm Lonely' mit Keith Richards am Bass, dem Drummer von der Jimi Hendrix Experience am Schlagzeug und Eric Clapton, der damals zumindest noch nicht so aussah, als wäre er ein reaktionärer Penner, an der Leadgitarre. Und eine sehr schnieke Version von 'Jumping Jack Flash' gabs auch. Die Stones tänzeln diese Tage über den roten Teppich der Berlinale, weil der werte Herr Scorsese ein Konzert der Band in New York zum Spielfilm gemacht hat. Die sahen zumindest nicht ganz so deplaziert aus wie Patti Smith, die aus ähnlichen Gründen zum Schaulaufen kam. Ich hätte Johanna vor ihrer Abreise sagen sollen, sie soll für mich mal an Pattis Rockzipfel ziehen. Aber die kam natürlich eh in den Hosen von Jean-Arthur Rimbaud statt der üblichen Abendrobe von John Galliano. Oder so.

Microsoft Deutschland wird nicht nur seit Jahren zum besten Arbeitgeber des Landes gewählt, die haben auch mit Abstand die höchste Quote an Frauen in Führungspositionen, weil die Statistik beweist, dass das die Umsätze von Unternehmen steigert. Nicht jedoch die Qualität der Produkte, wie eine Untersuchung der Kong-Laboratorien beweisen konnte.

Gestern in einer fürchterlichen n-tv-Sendung: Gunter von Hagens, exzentrischer Superanatom und Schöpfer der kontroversen 'Körperwelten'-Ausstellung, die derzeit in den Staaten abräumt, muss ordentlich was einstecken. Von der doofen Journalisten-Darstellerin, die dumme, dem Boulevard würdige Fragen stellt und dabei die Stirn in Falten legt und Sabine Christiansen-Gesten macht und von blutrünstigen Zuschauern, die per Email dem Herrn mit dem schwarzen Hut einen fragwürdigen Geisteszustand attestieren. A propos Hut: Auf eine Zuschauerfrage antwortet von Hagens, seinen Hut würde er niemals abnehmen, auch nicht bei der Arbeit, um den Pionieren der anatomischen Wissenschaft, die eben diesen Hut trugen (er nennt zum Beispiel Leonardo DaVinci), Ehre zu erweisen (ich widerstehe dem Drang, den Ausdruck 'den Hut ziehen' zu benutzen). Dead cool im wahrsten Sinne des Wortes. Der Joseph Beuys der Medizin. Überhaupt: Mehr Beuys im Fernsehen! Oder noch besser: Gar kein Fernsehen mehr!

Wenn man ein Vierteljahr nicht gelaufen ist, fühlen sich die ersten Schritte wie die ominösen großen Schritte auf dem Mond an, zumal meine Fersenentlastungsschuhe gut zum Kosmonauten-Outfit passen würden. Heute sind wir etwa hundert Meter gelaufen, danach war ich platt und habe die nächsten drei Stunden im Bett liegend mit einem Computerspiel (Ankh2: Heart Of Osiris) verbracht, was gar nicht so langweilig war.

In dieser Position finde ich mich auch jetzt nach dem Diner wieder, mit dem Gedanken spielend, den Maschinenpark (Reason 4) anzuwerfen und ein paar Sounds zu brutzeln...mhm...Sägezahn...
Oder doch zurück ins alte Ägypten?
Um halb neun gehts zurück nach Vietnam, wir haben uns mit dem Doktoranden vom Max-Planck-Institut zur Apocalypse Now-Kuckerey verabredet, gar fürtrefflich, Sire.

Au revoir.

Mittwoch, 6. Februar 2008

Dr. Kong schreibt Tagebuch

Das mit der Vergeistigung hat irgendwie nicht geklappt. Den halben Tag turnt man auf weißen Liegen rum, die restlichen Stunden verbringt man dann mit elektronischer Korrespondenz und dem (legalen!) Runterladen der neuen Clinic-Single, die phantastisch ist.

Ist sonst noch was passiert?

Fettes Brot haben ihr neues Album in New York mastern lassen. Und die komischen Typen im neuen Video sind tatsächlich Modeselektor.

Während ich Montag auf der weißen Liege meiner blinden Therapeutin zur Lymphdrainage saß, lief doch tatsächlich auf Bayern 3 Rilo Kiley! Als ich die zum letzten Mal gehört habe, waren sie ein weiteres Pferd im rustikalen Stall von Connor Oberst. Hab sie im Orange House mal live gesehen. Und jetzt Bayern 3? Auch gut.

Philipp ist kurz davor, Opfer eines Vitamintabletten-Schneeballsystems zu werden. Du drehst unbescholtenen Bürgern soundsoviel überteuerte unwirksame Pillen an, und schon bist du reich und berühmt. Wenn er die Dinger Paul, dem Truck Stop-Lieder singenden und uns mit seiner Krankheit-Als-Weg-Doktrin auf die Nerven gehende Reha-Buddha, andrehen kann, ist er ein gemachter Mann. Der Typ ist seit fast zwei Jahren hier, einen Großteil der Zeit hat er selbst bezahlt. Verdammt ist Grey's Anatomy wieder spannend. Denke ich mir mal. Ich kucke sowas ja nicht. Ich unterstelle Paul-San jedenfalls die Hybris, nicht wirklich nach Hause zu wollen. Der Zen-Meister sollte mal an seiner Hosenschlange ziehen. Manchmal wünsche ich mir, ich hätte doch Medizin studiert. Dann wäre ich jetzt cooler Hirnchirurg oder so was. Paul würde jetzt sagen: Nichts geschieht ohne Grund.

Mein chronisch müder Dämmerzustand lässt heute leider keine anderen Aktivitäten als in die Glotze kucken zu...hätte den Simpsons-Film gestern nicht kucken sollen...Spider-Pig, Spider-Pig...

Spongebob als Geist ist bis jetzt der deutliche Höhepunkt gewesen. Im Moment dümpele ich vor einem saublöden Kinderfilm herum über Nessie und eine besserwisserische Strebergöre namens Tim, der seinen Vater sucht, der wiederum das Monster von Loch Ness sucht und einen unglaublich schlechten C-Promi-Gollum, der bestreitet, ein Hobbit zu sein uns sich als Druide ausgibt. Ihr seht, mein Zustand ist bedenklich. Falls ich das nicht überlebe, zerstreut die Asche meiner David Bowie-Platten über dem Hudson River. Jetzt redet der Nessie-Forscher über Dave Brubeck. Ist der bärtige Typ, dessen wichtige Funktion sich am Ende des Films plötzlich herausstellen wird, Maximilian Schell oder doch bloss dieser ZDF-Fuzzi? Lebt Maximilian Schell überhaupt noch? Hat der nicht damals diese Marlene-Dietrich-Interview-Geschichte gemacht? Oder doch bloss der doofe Dietel?

Wohlwollend könnte man diesen Müll als unter-der-Woche-Höhepunkt des unfreiwilligen Trash bezeichnen. Herr der Ringe meets Heiße Zitrone-Product Placement. Dorkas Kiefer in ihrer bisher größten Rolle als blondes Dummchen, das am Ende mit dem fiesen Juppie-Forscher bricht, weil der voll skrupellos ist.

In der Werbepause berichte ich vom Faschingsdienstag in der Rehaklinik. Die gesamte Ergotherapie-Belegschaft kam im Schlafanzug zur Arbeit. Paul-San kam mit schwarzledernem Cowboyhut, eine ähnliche Idee hatte wohl auch der ärztliche Direktor, als er gegen elf beim Auftritt der Bad Endorfer Prinzengarde gesichtet wurde. Nicht von mir, ich konnte leider dem munteren Treiben nicht beiwohnen, da ich einen Massagetermin wahrnehmen musste. Adrian erzählt mir von seinem tollsten Faschingserlebnis: Mehrere betrunkene, weiße Münchener Karnevalisten tun das, was sie tun, als plötzlich ein Schwarzer an ihnen vorbeigeht mit den Worten: "Ihr habt ja überhaupt keinen Funk, Mann!" Sowas sollte viel öfter passieren.

Die Erkennungsmelodie von E wie einfach (Strom-Oligopolist) mit seinen eindeutigen Kraftwerk-zu-Radioaktivität-Zeiten-Reminiszenzen gefällt mir. Sollte ich mal samplen. No samples cleared sollte mal auf einem Plattencover stehen. Der Telekom hingegen, die ihre neuen Internet-Pakete mit 'Paint It Black' von den Stones bewirbt, wünsche ich für die nächste Tarifrunde extrem zähe Gewerkschafter. Und den Stones, dass sie sich die Rechte für den Song mit extrem schnell an Wert verlierenden Telekom-Aktien vergütet haben lassen. 'Das neue Lenor Shangri-La aus der Mystery-Collection' lasse ich einfach unkommentiert hier stehen. Und wirken. Um 21:55 hat Deutschland den Kampf um die Rückeroberung der polnischen Gebiete mit dem Abschuss mehrerer Tausend Pommersche-Leberwürste gestartet.

Diese blöde Todesszene habe ich weder erwartet noch verdient. Moment, vielleicht kann das der Möchtegern-Gollum ja wieder kitten? Wusst ichs doch. Aber was geschieht jetzt mit dem bösen Mann? Aber jetzt kommt erstmal die Verkündung der Tatsache, dass der Maximilian Schell-Typ niemand geringerer als der berühmte Merlin ist. Und er hat einen Karate-Anzug an!

Jetzt kommt Akte '08, ich flüchte ins Bad zu meiner elektrischen Zahnbürste noch während dem ersten Einspieler über tödliche Bikinizonen, der mit diesem fiesen Keinohrhasen-Hit unterlegt ist. Danach eine sehr objektive Berichterstattung über den Ort in Rumänien, an dem das neue Nokia-Werk gebaut wird. Titel: Arbeitssuche in Draculas Heimat. Wäre witzig, ist aber dank unverhohlenem Rassismus überhaupt nicht komisch. Das stinkt gewaltig. Versteht man das unter dem Begriff 'Service-Doku'?

Gute Nacht. Wenn ich morgen abend nicht mit Deleuze-Exegese beschäftigt bin, steht Dsds auf meinem Speiseplan. Lecker.

Montag, 4. Februar 2008

Dr. Kong hört...Thurston: Trees Outside The Academy


Die Bäume vor der Akademie wiegen sich im Wind. Sie haben Thurston vom College geschmissen, aber er kehrt immer wieder hierher zurück und setzt sich unter seinen Lieblingsbaum, in den er mit einem Bowie-Messer 'Sonic Life' geritzt hat, um in 'Une Saison En Enfer' von Rimbaud zu lesen und Seite um Seite in seinem roten Notizbuch mit Texten über seine Lieblings-Hardcore-Bands und seltsamer Lyrik vollzuschreiben. Diese wunderbare Thurston Moore-Lyrik, die man gar nicht verstehen muss, um sie zu fühlen. Man muss noch nicht mal Englisch können.

Thurston Moore hat ein neues Album gemacht, und man sollte es nach Möglichkeit unter Trauerweiden in der Abendsonne sitzend mit Kopfhörern genießen (ich sitze ja leider noch im Rollstuhl, aber ihr solltet das natürlich unbedingt tun!), wie man es im Allgemeinen mit Meisterwerken der Tonkunst so zu tun pflegt. Sein erstes Soloalbum, 'Psychic Hearts' (ich glaube, es kam 1991 raus, zu 'Dirty'-Zeiten und 2005 wiederveröffentlicht), bezeichnen nicht wenige als das beste Sonic Youth-Album überhaupt, und ganz Unrecht haben sie nicht, die leicht gestörten S.Y.-Riffs aus der Epoche findet man hier auch, Thurston schüttelte sie nur so aus dem Handgelenk, das Ganze mit etwas weniger kollektivem Krachrausch versehen. Einer meiner absoluten Lieblingstracks ist auf 'Psyschic Hearts', nämlich 'Ono Soul': Pure Sonic Heaven. Ich hebe ab, wenn ich das höre. Auf Albumlänge gerät der anfangs präzise Flow mehrerer erweiterter Bewusstseinsebenen gemeinsam dann irgendwann zwar nicht ins Stocken, aber irgendwie zerfasert alles gegen Ende. Ich habs länger nicht mehr gehört, aber so war mein Eindruck damals.


In der Zwischenzeit ist viel passiert. Sonic Youth haben weiter fleißig großartige Alben aufgenommen, Jim O'Rourke rekrutiert und wieder verloren und wurden von Geffen gedroppt, nachdem das ehemalige Prestigeobjekt mit keinem einzigen der vom Major veröffentlichten Produkte voll in die Gewinnzone fahren konnte. Thurston wohnt mit Kim Gordon und Tochter Coco in New Jersey, nicht mehr im lauten New York. Dort, um genau zu sein im Studio von Dinosaur Jr.-Frontfrau J. Mascis, der nach dem Kochen auch einige wunderbare Gitarrenparts eingespielt hat, wurde das neue Thurston Moore-Album auf Tape gebannt (oder auf Festplatte, aber das kann ich mir bei Herrn Mascis irgendwie nicht vorstellen), und das erste, was auffällt, ist, das es weniger Hysterie gibt und mehr Melancholie, viele Akkustikgitarren und eine Geige. Das Wort 'Schönheit' braucht nicht lange, um sich aus dem Unterbewusstsein nach vorne zu drängen.

Der Noise ist nicht weg, das war er nie. Das wird er nie. 'Trees Outside The Academy' beginnt mit Krach. Einer flirrenden Geige. Drohend. Doch daraus schält sich eine Klampfe vor dem Lagerfeuerherrn, den man wohl ein wenig betrunkelig gemacht hat. Ein Drumkit. Eine verzerrte E-Gitarre haut ein lässiges Riff raus, gefroren. Die Violine, die gerade noch gedroht hat, tänzelt. Thurston singt über die Magie, die entsteht, wenn Musik entsteht. Wir haben es hier mit einem Song zu tun. Einem schönen Song. Ernst. Cool. Which way to the most high?
Auch das nächste Stück pickt sich seinen Weg durch Kornfelder. Süße Melancholie. Jugend, auf ewig konserviert.Das bedeutet Mut. Darum scheint es hier zu gehen. Vielleicht. Es gibt viele Wege, durch ein Kornfeld zu gehen. Ah-ein J. Mascis-Gitarrensolo. Diese Musik ist eine wunderbare Melange, die zu etwa gleichen Teilen aus trauriger Schönheit und dem Wissen um den coolen Krach besteht. Das wird man später noch deutlicher merken. Für den Augenblick beginnt das dritte Stück mit zwei trauertrunkenen Gitarren, die unisono eine alte nie gespielte Weise intonieren, dass einem noch bevor die ersten Textzeilen gesungen werden die Tränen in die Augen schießen. Zumindest innerlich. Ein wenig auch vor Freude. Damit kriegt man auch Leute rum, die mit Sonic Youth sonst nix zu tun haben wollen. Zwei Stimmen beginnen mit ihrem Klagelied für einen verlorenen Freund und sorgen für den ersten ganz großen Moment auf dieser Platte: 'and i'll always love you'. Auf dieser emotionalen Höhe geht die Platte weiter. Ein Abendspaziergang. Entsetzlich schöne Instrumentalpassagen. Freundschaftsbekundungen. Und all das ohne schalen Nachgeschmack. Bevor man sich jedoch eine Schale mit Cornflakes holen möchte, legt Thurston mit 'American Coffin' eine Schippe Gitarrenfeedback und verstimmtes Klavier, durch Gitarrenverstärker gejagt, nach, das sehr an 'Secret Girl' auf 'EVOL' von 1986 erinnert. Das ist positiv gemeint. Alles, was an 'EVOL' erinnert, ist toll.

'Wonderful Witches And Language Meanies' zieht das Tempo und den Krach-Koeffizienten doch deutlich an, um die unschönen Seiten im Leben eines gefeierten Underground-Musikers lyrisch auszukosten. Wunderschöner Refrain. Mit 'Off Work' folgt ein entfernt groovendes Instrumentalstück, das von einer simplen Geigenmelodie getragen wird und klöppelnde Percussion in die Kommune integriert, um in weißem Rauschen zu kumulieren. Und wieder von vorne beginnt. Immer wieder muss ich an Led Zep denken beim Hören dieser Platte. Im Guten. Ja, das geht. 'Off Work' changiert zwischen Hoffnung und Verzweiflung, darauf folgt mit 'Never Day' eine astreine Verbeugung. Vor schönen Melodien zum Beispiel. Alle Vorbehalte sind verflogen, wir beginnen zu fliegen. Oder so. Schließe die Augen. Nein, lies ruhig weiter, aber kauf dir diese Platte. Du wirst es nicht bereuen. Ein Gefühl von Gelassenheit, von Freiheit durchweht jeden Raum, der mit dieser Musik beschallt wird. Bis 'Free Noise Among Friends' einsetzt.

Gehört ja schließlich auch dazu. Dauert aber nicht lange. Schließlich muss der Titeltrack ja auch noch durch, und der donnert auf gewaltigen sechs Minuten durch dein Zimmer (oder dein Gehirn unter der Trauerweide). Instrumental. Erklimmt Berge nur um auf der anderen Seite runterzuspringen. Nach diesem Monument von einem Track kann eigentlich nichts mehr kommen, außer vielleicht dem, was dann kommt: Eine Aufnahme von Thurston im zarten Alter von 13 Jahren, wie er mit einem billigen Kassettenrekorder die Klänge von verschiedenen Gegenständen, die er auf seinen Tisch fallen lässt, aufnimmt. Und mit den Worten endet: 'Still not knowing what the fuck i'm doing here'. So lange er weiter durch solch weite Felder reitet und solch seltsame Trophäen mitbringt, wird es einem Musikfan an nichts mangeln. Eine ganz große Platte, an prominenter Stelle in euren Behausungen anzubringen, auf dass man sie regelmäßig höre. Oder auch nicht-dann kann man sie in zwanzig Jahren wiederentdecken und feststellen, dass sich nichts geändert hat. Weil die Kraft, die dieser Musik innewohnt, niemals altert. Word.

Sonntag, 3. Februar 2008

Dr. Kong schreibt Tagebuch

Sonntag, 3. Februar 2008, 22:37.

Es war ein sonniger Tag heute. Für die Leute draußen. Ich saß im 'Internet-Café' der Kurklinik (ein paar Stühle und ein Kaffeeautomat) und habe den Nachmittag mit dem Versuch, Photoshop herunterzuladen verschwendet. Nach langem hin und her hatte ich mich zum Weg in die Illegalität entschlossen, und dann klappts noch nicht mal. Nachdem man sich durch zwielichtige Peer2Peer-Netzwerke und Torrent-Seiten gewühlt hat, stößt man mit etwas Glück auf eine funktionierende Datei (oder auch nicht-ich habe auch schon zwei Stunden lang etwas runtergeladen, das sich beim Entpacken als Windows-EXE-Datei entpuppte) mit den zugehörigen Codes (danach fühlt man sich wie nach dem Besuch eines nach altem Rauch stinkenden Pornokinos mit SEHR klebrigen Sitzen). Schon nach fünf Stunden hat man dann etwa 0,8 Prozent der Datei heruntergeladen. Nachdem die Sonne untergegangen war, war ich kurz davor Photoshop Elements zu kaufen. Oder doch den GIMP benutzen? Nerd-Olympics...
So sehen wir betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen:
Wer schaut eigentlich Comedy Central?
Wie irre ist Tom Cruise wirklich?
Was zum Teufel ist Devil May Cry 4?
fuckuALL!!!HELP!!!!!Can anyone seeeeed this please!!!!?????????
Wie irre ist Guido Knopp wirklich? (Die Antwort heute abend auf ZDF History)
Kann man die Abwärtsspirale der Blödheit, die Mario Barth losgetreten hat, noch aufhalten? Sieht man diese neue Show, 'Einfach typisch' (oder so ähnlich), moderiert von lustige blonde Frau 4, kann man sich kaum vorstellen, dieses jahr noch eine positive Antwort auf diese Frage zu finden. Getreu dem ersten Gebot 'Frauen sind keine Autos, Männer wollen ficken' werden die windigsten Klischees aufgekocht und durch empirische Versuche belegt. Beispiel: Frauen können nicht fangen. Dass das stimmt, beweist man, in dem man an Frauen vorbeiläuft und sie mit Bällen bewirft. Dazu werden dann die üblichen Gäste geladen (z.B. unlustiger Klischeemann 3) und beendet wird die Farce mit der Aufforderung: 'Bleiben Sie typisch!' Für eine der nächsten Sendungen schlage ich folgendes Klischee vor: Stinken Türken wirklich so doof?

Irgendwie überkommt mich langsam das Gefühl, dass ich zu viel in die Röhre blicke. Meine Blogs bestehen zu hohen Anteilen aus Kommentaren zu Fernsehsendungen. Wahnsinnig subversiv, wa? Im warmen Bettchen liegen, Teechen trinken und über das böse Fernsehprogramm schimpfen. Pfui. Ich gelobe für die nächsten Tage die komplette Vergeistigung. Ich fange sofort damit an und lese endlich den neuen William Gibson-Roman fertig.

Calexico machen schöne Musik. 'Speed Of Life' von David Bowie eignet sich hervorragend als Klingelton. Die Blaubeermuffins waren auch schon mal besser.

Wegen technischer Schwierigkeiten (altes ibook frisst DVD nicht) muss der heutige Jean Luc Godard-Live-Ticker 'bande à part' leider entfallen. Statt dessen sehen sie:
Dr. Kong testet die neue Comedy Central-Sendung 'Kargar trifft den Nagel'!!!!!!!!!!

Mein kleiner süßer Schnuffel-kuschel kuschel kuschel!

Schon der erste Witz stinkt. Der zweite auch. Typisch pointenlose Scheiße? Und die doofen Lesben. Oh no. Abgelutschter Pimmel. Kackwurst. Noch immer kein guter Witz in Sicht. Der Stamm der Tolpatschen. Gähn. Wann kommt die Jamba-Werbung wieder? Die Hoffnung ist längst gestorben, da muss ich zumindest kurz schmunzeln wegen dem Karussel-Animateur beim Rendez-Vous. Das wars dann wohl. 'Beschissene Gesellschaft'? Kicher. Mai Ling hamse vom Polt stibitzt die Penner. Stand zur Werbung: Mit Ausnahme von ein Mal Schmunzeln und einem Kichern Langeweile bis Ärgernis, aber immer noch eine Nuance über der SAT1-Comedy-Tristesse, aber vom Regen in die Traufe, da gewinnt man nichts. Sagt schon einiges über eine Sendung aus, wenn man die Werbepause interessanter findet. Die Axe-Werbung ist deutlich lustiger, ehrlich.
Berentzen versucht auch immer noch, eine Klientel jenseits der dreizehnjährigen Komasäufer für ihre hochprozentigen Geschamcksverirrungen zu finden. Weiter geht’s... ich habe Angst vor der Pointe...zu Recht. So ein Mist. Ich breche den Fernsehversuch ab und geh schon mal Zähne putzen. William Gibson wartet. Ab morgen gibts mehr heißen Scheiß, weniger TV-Shit. Vielleicht höre ich ja endlich mal die neue Radiohead in toto.

CU LOL RTFM.

Nachtrag: Doch keine Nuance über der SAT1-Scheiße. Das selbe in Grün plus ne Extraschippe Muff und Mief. Totalabsenz von Pointen. Das Schlimmste aber sind dann die obligatorischen Outtakes am Schluss. Ich weiß wirklich nicht, was daran lustig sein soll, wenn Möchtegern-Komiker sich versprechen oder stolpern. Over and out. Die erste Therapie morgen startet um 7:30. Hoffentlich wache ich nicht mit schalen Witzen auf der Zunge auf.

Dr. Kong schreibt Tagebuch


Es ist zwischen elf und zwölf Uhr nachts. Ich sitze mit zwei Mobiltelefonen und einem Laptop im Bett und sehe 'The Man With The Golden Gun' im bayerischen Fernsehen. Was in der Zwischenzeit geschah:
Schwarzer Kaffee und John Coltrane kommen meiner Vorstellung vom Paradies sehr nahe. Hotzenplotz82 ist abgereist und kauft keinen gepanschten Rotwein mehr. Elektrische Zahnbürsten sind toll. David Rio Chai auch. Blogs sehen auf myspace einfach nicht gut aus. Der Pate ist ein fantastischer Film, da kann Hotzenplotz82 soviel rülpsen wie er will. Die Ärzte waren auch früher schon super. Die Sonnenterrasse im Thermencafé ist atemberaubend. Man kann Stradivari-Geigen auch mit einem Midi-Keyboard spielen. Tage, die man mit 'Bananas And Blow' von Ween beginnt, schmecken tatsächlich nach Banane.
Das einzige, was mir Angst macht ist dass ich jetzt schon mehrere Folgen von 'Deutschland sucht den Superstar' gesehen habe und nicht nach spätestens zwei Minuten mit Bauchkrämpfen umschalten musste, sondern mich tatsächlich irgendwie unterhalten gefühlt habe. Wird mein Gehirn langsam zu Matsch? Am beunruhigendsten finde ich die Tatsache, dass ich mehrmals über Dieter Bohlen gelacht habe. Ich hatte sogar einen Tagtraum, in dem ich die Villa neben der Bohlen'schen in Hamburg-Tötensen bezogen und mich mit Dieter angefreundet habe. Schon bald trinken wir entsetzlich teuren Rotwein und hören vor Kaminfeuer seine alten Krautrock-Scheiben.
Ich glaube morgen wage ich mich mal an den Rest der 'Four Of A Kind'-Aufnahmen. Das muss ja schließlich mal fertig werden. Mir graut ein wenig vor dem Mastering. Learning by doing.
In diesem Film werden entschieden zu viele Gongs benutzt, aber Christopher Lee als Scaramanga ist sehr unterhaltsam. Gleich killt er den fiesen Asiaten. Schicker Anzug.
Nicht vergessen: Morgen 'Kapitulation' für den Rock-Doc brennen. Und mal nach dem Montreux Jazz Festival kucken. Vielleicht fahren wir da ja gemeinsam hin und heben einen auf Jimmy Page. Dieter Bohlen, Jimmy Page-bevor ihr den Blog jetzt an die Focus-Redaktion schickt:
Deutschland must die. Verschwör dich gegen dich. I'm always chrashing in the same car. Mama Düül und ihre Sauerkraut-Band spielt auf. Crazy music drives you insane. No direction home. Cheri Cheri Lady-verdammt.
Mach deinen Fernseher kaputt.

Dr. Kong schreibt Tagebuch

7 Uhr 36: Noch bin ich wach, fit und guter Laune. Ich werde von meinem Telefon mit '21th Century Digital Boy' von Bad Religion geweckt. Ja, das fand ich mal sehr toll. Eigentlich immer noch. Im Bad hörte ich dann zum ersten Instant-Kaffee 'Premières Symptomes' von Air und war entzückt, wie frisch das immer noch klingt...j'ai dormi sous l'eau...eine Massage morgens um Sieben ist auch nicht das Schlimmste, was einem widerfahren kann, ehrlich. Zwei Physiotherapeuten sind krank, ob da die Rota-Viren wieder zugeschlagen haben? Jedenfalls fällt eine Therapiestunde für mich aus, und das ist ok-mehr Zeit für sinnlose Blogs. Das will doch keiner lesen, Kong. Der zweite Kaffee.
9 Uhr 54: Ich liebe Clinic. Ihre Größe ist besonders stark auf den ersten drei EP's zu spüren ('3 Eps'), wo aufs koolste Doo-Wop, Velvet Underground, Punkrock, 8-bit Sampling und Chirurgie zusammengebracht werden. Das ganze natürlich mit Frischebonus wegen unverbraucht und so. Ihre neueste Veröffentlichung, die man schon allein wegen Artwork und Betitelung ('Funf') als zwingend bezeichnen könnte, ist eine Sammlung von unveröffentlichtem Zeugs, die alles andere als verbraucht klingt, sondern auf zwölf kurzen Stücken die ganze Bandbreite des verrückten Clinic-Sounds verdeutlicht. Diese seltsamen Balladen, die hypnotischen Grooves mit Hieroglyphengesang, die Garagen-Punk-Motetten, die nach einem anderen 1966 klingen. Es gibt Momente, da ist eine bestimmte Musik so passend, dass einem fast zum Schreien zumute wäre, hätte man nicht so großen Spaß dabei. Heute ist Clinic-Tag. Bis mittags zumindest. Jetzt muss ich mich erstmal weiter durch 'Godard über Godard' quälen...anfangs meint man, einen alten Mann zu sehen, völlig von der eigenen Scharfsinnigkeit zerfressen, gefangen in einer Stream of Consciousness-Endlosschleife über die Abstraktion, den Tod. Für einen kurzen Moment glaubt man, einer der größten Visionäre der Filmkunst wäre völlig übergeschnappt, als er aus einer symbolischen Skizze zur Erläuterung der Stereophonie einen Davidstern macht und in einem Satz von Deutschland über Israel nach Palästina findet. Später beginnt man zu begreifen und sieht sich ein paar wirklich bemerkenswerten Szenen gegenüber. JLG sitzt einsam an einem Tisch und tippt auf einem Taschenrechner herum. Die 'Filmkontrollkommission' kommt herein wie die Gestapo und macht sich über seine Bücher und Filme her, die Haushälterin, der JLG später auf den Hintern klopfen wird, bemerkt, Godard habe bereits 1955 gesagt, dass man im Fernsehen niemals einen Film sähe, sondern nur Reproduktionen, ihr wird entgegnet: Schweig,Kassandra. Es gibt zwei Arten von Heimat: Die erworbene und die eroberte. Ein langhaariger Typ mit Kinnbart an der Rezeption eines seltsamen Filminstituts ist außer sich, dass die Sekretärinnen in ihrem Report nirgends die Filme erwähnt hätten, die Godard nicht gemacht hat. Godard stellt eine blinde Schnittassistentin ein, die die Kunst des Luft-Cuttens beherrscht. Aufs Bild genau. Noch mehr Mathematik, noch mehr Philosophie. Wie Gedanken Bilder werden. Und wir sind wieder an dem selben Strand, an dem wir zu Beginn des Films entlangwanderten. Nur erklingt diesmal keine Kammermusik, sondern eine düstere Kirchenorgel wie bei einer Beerdigung. Oú habitez vous? Dans le language. Das kann ich bestätigen. Il faut que je devienne universel. Wow. Während ich dies schreibe, fragt der Fernseher im Hintergrund, ob Britney Spears versucht hat, sich umzubringen. Ob ich den Fernseher umbringen sollte? Aber dann kann ich nicht mehr Grey's Anatomy kucken. Wäre wohl das Beste. Weiter mit Jean Luc. Choräle. Er filmt sich. Rauchend. Die Vergangenheit ist niemals tot. Sie ist nicht mal vergangen. Cut. Ihm gefällt, es vergangen zu sein und nicht vergangen zu sein. Latein. Jean Luc Godard mit Bommelmütze. 'Wenn es etwas Wahrheit in den Mündern der Dichter gibt, werde ich leben'. Word up, dawg. Zuletzt der Wunsch, nichts anderes zu werden als ein Mensch. Den keiner will. Und so endet das Selbstporträt eines Giganten. Ein verstörender, seltsamer, bewegender Film. Heute Abend gibt’s The Godfather. Nach Grey's Anatomy. Hier kann man ORF1 empfangen. Und FM4. Sendungen von Amazon. Rassistische Kommentare. Krapfen. Besuch. Der Tag geht und mit ihm das diesige Zwielichtwetter. Ich heiße den Abend willkommen.

Dr. Kong hört...Trend: Navigator

Dr. Kong hört:
Trend-Navigator (Plastic Bomb/Cargo)

Mein behandelnder Arzt, die alte Rocksau aus Leipzig (für mich ist er der Rock-Doc-erzähl' ihm was von Jimmy Page und er gerät ins Schwärmen und vergisst die Medizin) hat seine Drohnung wahrgemacht und hat mir eine CD mitgebracht. Kein Wunder, dass ich das nicht im Netz gefunden habe, die Band heißt nicht 'Newigejschn', sondern Trend, und das Album 'Navigator'. Ich rechnete nicht mit dem schlimmsten, immerhin meinte der Rock-Doc, das wäre Punkrock. Die Verpackung ist angenehm monochrom, auf zwei Titeln spielt Harald 'Sack' Ziegler Waldhorn und gemastert hat Stefan Betke (Pole), das sind ja schon Mal ganz gute Aussichten. Statt einer Thank-you-Liste findet man nur den Spruch: 'Alle Rechte bei Trend, alle Linke auf die Straße' und das finde ich gleichsam witzig und toll, sodass ich schon die erste Ein-Mann-im-Rollstuhl-Demo vor der Kurklinik Bad Endorf plane.
Als erstes starte ich das vom Rock-Doc empfohlene elfte Stück 'fünf Uhr morgens' und das macht die Schleusen unprätentiös weit auf mit einem furztrockenen, kräftigen Sound: Bass, Drums, die die klassische Threepiece-Situation komplettierende Gitarre orientiert sich ästhetisch dankenswerter Weise an eher höhenlastigem Postpunkgeschmirgel und die Stimme (erinnert mich ein bißchen an Schneller Autos Organisation) fleht und schreit ohne Hysterie. Eine Bestandsaufnahme: Verlassenwerden, die Stunden nach dem Nachtleben, böse Nachrichten in der Zeitung. Reduziert, energetisch, kompromissloser Sound. Das hat mich zumindest soweit überzeugt, das ich das Ding von vorne an höre.
Begrüßt wird man mit 'Bereit', das geht als intravenöse Nahrungsergänzung zum schwarzen Kaffee morgens ziemlich gut ab, sagt Sachen wie 'Ich bin bereit für ein Selbstmordattentat', aber bevor man dadrüber ins Grübeln kommt, springt 'Standortvorteil' in die Bresche und haut dem Publikum von Die Auswanderer XXL ordentlich eins auf die Mütze. Bei 'Gott hat keine Flugzeuge mehr' wird etwas bildhafter gewettert. Der Rock-Doc findet die anderen Stücke wohl nicht so toll, ich glaub ich schon. Weiter: '1970' lass' ich mir einfach mal aus der Seele sprechen: Eine Kampfansage an langweilende Musiken, denen in 1:32 der Garaus gemacht wird. Und der Titel prostet einfach mal den Stooges zu, sach ich mal. Top! Und das inklusiver toller Melodie! 'Mann in Uniform' kommt in Form eines simplen Postpunk-Disco-Geholpers, das sich mit postmodernen Brechungen weit aus dem Fenster lehnt ('in diesem Titel kein Wort von Disco', 'deine Probleme möcht ich haben, Ally McBeal') und von Synths und Darbuka-Geklöppel komplettiert wird. Begeisterung macht sich breit, auch weil ich nur für den Bruchteil einer Sekunde an Unsäglichkeiten wie die Mediengruppe Telekommander denken muss (aber auch denen würde ich bei entsprechender Bemusterung eine faire Chance geben-immerhin war ich ja mal Vorband von denen). Nach Quarkstrudel und 'Like A Rolling Stone' geht’s mit Stück Nummer sechs weiter, und das zieht etwas unbeteiligt an mir vorbei. Der Name Doris Schröder-Köpf fällt, der Groove ist schon ganz cool, aber ich werde nicht schlau draus und das Synth-Solo nervt mit austauschbaren Pulswellensounds. Hm. Bei 'Rue Love' kapiere ich weder Text noch Musikkonzept, da weiß ich dann auch mit dem Herrn Sack nichts anzufangen, obwohl das Waldhorn natürlich schon geil klingt, wa. Ich hoffe auf ein gerechtes Brett als nächstes und 'Pop Anamur' zieht mich auf seine Seite. Im Gitarrenmahlstrom nimmt man die ertrinkende Stimme kaum wahr, die restlichen Instrumente kämpfen tapfer. Sehr extreme Mischung, da bin ich immer gern dabei, textlich soll wohl ein Bleizeppelin aufsteigen. 'Mehr Rockelemente': Die Begeisterung war berechtigt, und dieser Song wird ab sofort zur Hymne in Kongland erklärt, nieder mit der Atomic-Café-the-bands-pseudo-Konfrontationsmusik, weshalb der Text hier in toto zum Auswendiglernen abgedruckt wird:
wer hat hier was zu sagen und wer bleibt abends lange auf?/hier tanzt der papst im kettenhemd, wir geben uns total enthemmt/wer hat hier was zu sagen und wer bleibt abends lange auf?/kommt mir einfach nicht zu nah, sonst gibt’s gleich noch was drauf/es ist soweit, es ist soweit/ich sag' euch an was kommt/die zeit des wartens ist zu ende-mehr rockelemente/dreht einfach auf, dreht einfach ab/schlagt die köpfe an die wände-mehr rockelemente/born to be gina wild, not a true nature one's child/die welt kann uns im arsche lecken, wenn wir unsere finger strecken/brutaler protest,brutaler protest. '
Den goldenen Textorden am Band für den Satz mit Gina Wild bitte. 'Was soll's': Musik und Verzweiflung, Politik und Schülerbands, Blut. Und eine tödlich gute Maschine aus Gitarre, Bass, Drums, Stimme stampft voran. Dann kommt wieder Nummer elf und die ist beim zweiten Mal noch besser, auch in der Gesamtdramaturgie. 'Hypnotisch' fällt mir dabei ein.
Lymphdrainage, Physiotherapie, Hühner-Nudeltopf. Die letzten zwei Stücke. 'Stopf alles rein' ist eine Zwei-Minuten-Antikapitalismus-Faust mit extremem Mixing, am Anfang fragt man sich, ob mit den Kopfhörern noch alles stimmt, weil die Stimme so leise unter den seltsamen Gitarrenverwachsungen Blüten treibt, letztendlich gewöhnt man sich auch daran und findet's super. Die letzte Nummer ist eine prima letzte Nummer. Fasst die Themenläden gut zusammen, featured ein verzerrtes Waldhorn von Harald 'Sack' Ziegler und haut hymnische Slogans raus ('Unsere Mission ist noch lange nicht erfüllt/die kostet noch ein paar Mark von eurem Steuergeld', 'ich schimpfe auf die jugend, und ich weiß, das steht mir zu'). Groß.

Fazit: Ein hypnotischer Hit, eine Anti-Hype-Hymne, noch eine Hymne, extremer Sound in Hifi, Politik, Krach, ein paar Fragen, verzerrtes Waldhorn. Definitiv empfehlenswert.

Eins zu null für Rock-Doc.