Montag, 4. Februar 2008

Dr. Kong hört...Thurston: Trees Outside The Academy


Die Bäume vor der Akademie wiegen sich im Wind. Sie haben Thurston vom College geschmissen, aber er kehrt immer wieder hierher zurück und setzt sich unter seinen Lieblingsbaum, in den er mit einem Bowie-Messer 'Sonic Life' geritzt hat, um in 'Une Saison En Enfer' von Rimbaud zu lesen und Seite um Seite in seinem roten Notizbuch mit Texten über seine Lieblings-Hardcore-Bands und seltsamer Lyrik vollzuschreiben. Diese wunderbare Thurston Moore-Lyrik, die man gar nicht verstehen muss, um sie zu fühlen. Man muss noch nicht mal Englisch können.

Thurston Moore hat ein neues Album gemacht, und man sollte es nach Möglichkeit unter Trauerweiden in der Abendsonne sitzend mit Kopfhörern genießen (ich sitze ja leider noch im Rollstuhl, aber ihr solltet das natürlich unbedingt tun!), wie man es im Allgemeinen mit Meisterwerken der Tonkunst so zu tun pflegt. Sein erstes Soloalbum, 'Psychic Hearts' (ich glaube, es kam 1991 raus, zu 'Dirty'-Zeiten und 2005 wiederveröffentlicht), bezeichnen nicht wenige als das beste Sonic Youth-Album überhaupt, und ganz Unrecht haben sie nicht, die leicht gestörten S.Y.-Riffs aus der Epoche findet man hier auch, Thurston schüttelte sie nur so aus dem Handgelenk, das Ganze mit etwas weniger kollektivem Krachrausch versehen. Einer meiner absoluten Lieblingstracks ist auf 'Psyschic Hearts', nämlich 'Ono Soul': Pure Sonic Heaven. Ich hebe ab, wenn ich das höre. Auf Albumlänge gerät der anfangs präzise Flow mehrerer erweiterter Bewusstseinsebenen gemeinsam dann irgendwann zwar nicht ins Stocken, aber irgendwie zerfasert alles gegen Ende. Ich habs länger nicht mehr gehört, aber so war mein Eindruck damals.


In der Zwischenzeit ist viel passiert. Sonic Youth haben weiter fleißig großartige Alben aufgenommen, Jim O'Rourke rekrutiert und wieder verloren und wurden von Geffen gedroppt, nachdem das ehemalige Prestigeobjekt mit keinem einzigen der vom Major veröffentlichten Produkte voll in die Gewinnzone fahren konnte. Thurston wohnt mit Kim Gordon und Tochter Coco in New Jersey, nicht mehr im lauten New York. Dort, um genau zu sein im Studio von Dinosaur Jr.-Frontfrau J. Mascis, der nach dem Kochen auch einige wunderbare Gitarrenparts eingespielt hat, wurde das neue Thurston Moore-Album auf Tape gebannt (oder auf Festplatte, aber das kann ich mir bei Herrn Mascis irgendwie nicht vorstellen), und das erste, was auffällt, ist, das es weniger Hysterie gibt und mehr Melancholie, viele Akkustikgitarren und eine Geige. Das Wort 'Schönheit' braucht nicht lange, um sich aus dem Unterbewusstsein nach vorne zu drängen.

Der Noise ist nicht weg, das war er nie. Das wird er nie. 'Trees Outside The Academy' beginnt mit Krach. Einer flirrenden Geige. Drohend. Doch daraus schält sich eine Klampfe vor dem Lagerfeuerherrn, den man wohl ein wenig betrunkelig gemacht hat. Ein Drumkit. Eine verzerrte E-Gitarre haut ein lässiges Riff raus, gefroren. Die Violine, die gerade noch gedroht hat, tänzelt. Thurston singt über die Magie, die entsteht, wenn Musik entsteht. Wir haben es hier mit einem Song zu tun. Einem schönen Song. Ernst. Cool. Which way to the most high?
Auch das nächste Stück pickt sich seinen Weg durch Kornfelder. Süße Melancholie. Jugend, auf ewig konserviert.Das bedeutet Mut. Darum scheint es hier zu gehen. Vielleicht. Es gibt viele Wege, durch ein Kornfeld zu gehen. Ah-ein J. Mascis-Gitarrensolo. Diese Musik ist eine wunderbare Melange, die zu etwa gleichen Teilen aus trauriger Schönheit und dem Wissen um den coolen Krach besteht. Das wird man später noch deutlicher merken. Für den Augenblick beginnt das dritte Stück mit zwei trauertrunkenen Gitarren, die unisono eine alte nie gespielte Weise intonieren, dass einem noch bevor die ersten Textzeilen gesungen werden die Tränen in die Augen schießen. Zumindest innerlich. Ein wenig auch vor Freude. Damit kriegt man auch Leute rum, die mit Sonic Youth sonst nix zu tun haben wollen. Zwei Stimmen beginnen mit ihrem Klagelied für einen verlorenen Freund und sorgen für den ersten ganz großen Moment auf dieser Platte: 'and i'll always love you'. Auf dieser emotionalen Höhe geht die Platte weiter. Ein Abendspaziergang. Entsetzlich schöne Instrumentalpassagen. Freundschaftsbekundungen. Und all das ohne schalen Nachgeschmack. Bevor man sich jedoch eine Schale mit Cornflakes holen möchte, legt Thurston mit 'American Coffin' eine Schippe Gitarrenfeedback und verstimmtes Klavier, durch Gitarrenverstärker gejagt, nach, das sehr an 'Secret Girl' auf 'EVOL' von 1986 erinnert. Das ist positiv gemeint. Alles, was an 'EVOL' erinnert, ist toll.

'Wonderful Witches And Language Meanies' zieht das Tempo und den Krach-Koeffizienten doch deutlich an, um die unschönen Seiten im Leben eines gefeierten Underground-Musikers lyrisch auszukosten. Wunderschöner Refrain. Mit 'Off Work' folgt ein entfernt groovendes Instrumentalstück, das von einer simplen Geigenmelodie getragen wird und klöppelnde Percussion in die Kommune integriert, um in weißem Rauschen zu kumulieren. Und wieder von vorne beginnt. Immer wieder muss ich an Led Zep denken beim Hören dieser Platte. Im Guten. Ja, das geht. 'Off Work' changiert zwischen Hoffnung und Verzweiflung, darauf folgt mit 'Never Day' eine astreine Verbeugung. Vor schönen Melodien zum Beispiel. Alle Vorbehalte sind verflogen, wir beginnen zu fliegen. Oder so. Schließe die Augen. Nein, lies ruhig weiter, aber kauf dir diese Platte. Du wirst es nicht bereuen. Ein Gefühl von Gelassenheit, von Freiheit durchweht jeden Raum, der mit dieser Musik beschallt wird. Bis 'Free Noise Among Friends' einsetzt.

Gehört ja schließlich auch dazu. Dauert aber nicht lange. Schließlich muss der Titeltrack ja auch noch durch, und der donnert auf gewaltigen sechs Minuten durch dein Zimmer (oder dein Gehirn unter der Trauerweide). Instrumental. Erklimmt Berge nur um auf der anderen Seite runterzuspringen. Nach diesem Monument von einem Track kann eigentlich nichts mehr kommen, außer vielleicht dem, was dann kommt: Eine Aufnahme von Thurston im zarten Alter von 13 Jahren, wie er mit einem billigen Kassettenrekorder die Klänge von verschiedenen Gegenständen, die er auf seinen Tisch fallen lässt, aufnimmt. Und mit den Worten endet: 'Still not knowing what the fuck i'm doing here'. So lange er weiter durch solch weite Felder reitet und solch seltsame Trophäen mitbringt, wird es einem Musikfan an nichts mangeln. Eine ganz große Platte, an prominenter Stelle in euren Behausungen anzubringen, auf dass man sie regelmäßig höre. Oder auch nicht-dann kann man sie in zwanzig Jahren wiederentdecken und feststellen, dass sich nichts geändert hat. Weil die Kraft, die dieser Musik innewohnt, niemals altert. Word.

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